Das weiße Gold der Chiemgauer Berge
„Man reiche mir bitte das Salz“, ereifert sich Max am festlich gedeckten Mittagstisch. Wohlwissend, dass sein adeliger Vorfahr und Namensvetter, Herzog Maximilian bereits anno 1617 in weiser Voraussicht den Wert vom weißen Gold der Chiemgauer Berge erkannte und somit heute noch als Gründungsvater der Saline Traunstein gilt. Er befehligte den Bau der Soleleitung von Bad Reichenhall nach Traunstein und trug so entscheidend zum Salzreichtum und Wohlstand im Chiemgau bei. In seiner geradezu herrisch anmutenden, fordernden Gestik ähnelt Max frappiernd genau seinem erlauchtem Vorbild. Ehrgeiz, Weitsichtigkeit und Klugheit zeichnen ihn aus.
Nicht weniger erhaben zeigt sich Karl Theodor. Geschichtsbeflissen und in geradezu kurfürstlicher Manier blickt er verschmitzt und doch ehrfürchtig zur prachtvollen Ahnengalerie. Sein Ahnherr war schließlich der Bauherr von vier Sudhäusern, die über Generationen hinweg viele Chiemgauer mit Arbeit und Brot versorgten. Zeremonienartig, elegant und höfisch nimmt Karl Theodor jetzt die kunstvoll geschmiedete Saleria zur Hand, jenes prunkvolle Salzgefäß welches extra zu diesem feierlichen Anlass von dem seinerzeit berühmten italienischen Bildhauer Cellini angefertigt wurde. In der mit purem Gold ausgekleideten Schatulle tummeln sich tausende perlmuttweißglänzende Salzkristalle, die scheinbar in ihrer Welt ein munteres Eigenleben führen. Plötzlich ein Moment der Stille. Gespannt, voller Aufmerksamkeit und Erwartung lauschen alle Anwesenden.
Nur ein leises Lispeln ist zu hören. „Wie wertvoll sind wir doch, auch als einzelnes Salzkorn. Uns zu Ehren ist diese noble Gästeschar zusammengekommen. Und wenn sie im dunkelsten Stollen immer noch auf uns herumhacken, so tun sie dies nur mit der Absicht, uns nach Jahrmillionen endlich mal ans Tageslicht zu bringen“.
„Um uns gleich darauf wieder zu verspeisen“, mucken einige kleinere Körnchen auf. „Wenn wir uns zusammentun, können wir der adeligen Sippe gehörig die Suppe versalzen“, meinen gar die besonders rebellischen. „Jetzt lasst uns mal wieder zur Vernunft kommen, wir sollten stolz sein auf die Verdienste, die wir auch den Chiemgauern über lange Zeit schon erwiesen haben“. Diesem friedensstiftenden Apell können sich die mehrheitsfähigen Salzkörner anschließen, ohne jetzt die Flinte ins Korn werfen zu müssen.
„Lasst uns den Mittagsschmaus beginnen“, ruft der Gastgeber im Hause Salzmaier schon etwas ungeduldig in die illustre Tischgesellschaft, zu der sich noch Johann Sebastian gesellt. Nicht der geniale Schöpfer der weltberühmten Bach Kantaten, wohl aber der begnadete Baumeister und Architekt Johann Sebastian Clais, seinerzeit als Gestalter des Fortschritts und der technischen Erneuerungen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt und geachtet. Immer mehr Leute aus allen Gesellschaftsschichten finden sich ein, zu diesem ganz und gar außergewöhnlichem Ereignis, zu diesem Familienfest der besonderen Art.
Dem Bachmaier, als ranghoher Salzmeister in gehobener Stellung, ist es ein ehrwürdiges Anliegen, dass jeder Platz finden soll bei dieser traditionellen Feier, bei der zu Ehren der über Jahrhunderte salzgeschichtlich bekannten Persönlichkeiten zu Speis und Trank geladen wird. Seine Dankesrede gilt in gleicher Weise auch dem niederen Volk, den Leuten, die für den heutigen Wohlstand und Salzreichtum ihren Buckel krumm machen. „Ein Holzknecht ist ein Ehrenmann, ebenso ihr Leute von der Trift. Deichelbohrer und Salzsieder, Pfannenflicker und Fassbinder. Seid willkommen in unserer Gemeinschaft“. Da fühlen sich auch die Pfieseldirnen geschmeichelt. Sie verrichten eine wahrhaftig pfieselige Schwerstarbeit.Sie alle verdienen zu Recht, an diesem traditionellen Festmahl teilnehmen zu dürfen. Lob für den großartigen Zusammenhalt der Gemeinschaft spendet auch der Chiemseer Weihbischof. Beim christlichen Abendmahl in der Rupertuskapelle spricht der hochwürdige Herr so wie einst Jesus die segensreichen Worte: Brot und Salz Gott erhalt's.