Rudi und Kathi
Rudi Krummbuckl war ahnungslos. Hinter seinem Rücken sammelte sich ein zusammengeschnürtes Nervenbündel. Die Schulterplatte diente den unsichtbaren Plagegeistern als Startrampe. Urplötzlich jagten sie mit Ultraschallgeschwindigkeit über den Ärmelkanal hinunter zum eingeengten Karpaltunnel. Ein stechender Schmerz bremste die wild gewordene Bande. Wie eine auf rot stehende Ampel wurde den Nervlingen von Rudi Krummbuckl unmissverständlich signalisiert:„Durch den eingeengten Karpaltunnel ist kein Weiterkommen möglich“.
Dabei wollten sie über den Handrücken bis zu den Fingerkuppen vom Rudi vordringen. Ihn mit der nötigen Sensibilität versorgen. Der Krummbuckl war noch nie mit besonders viel Fingerspitzengefühl ausgestattet, konnte nie so richtig einschätzen, was seiner Liebsten unter den Nägeln brennt. Doch in diesem Moment fuhr ihm der Schreck in die Glieder. Seine Bewegungsmelder an vorderster Front waren ausser Gefecht gesetzt, zumindest nur noch eingeschränkt zu gebrauchen. Zwei Angsteinflößende Gedanken quälten den Rudi. Würde er niemals mehr eine Halbe Bier genüsslich zu Munde führen können? Würde er seine geliebte Zigarillo nur noch mit zittrigen Händen halten können?
Seine angegraute angetraute, die Katheter Kathi, wollte er gar nicht erst fragen. Zu oft schon hatte sie seinen nikotinverkleideten Lungenflügel abfällig als „gräuchertes Lüngerl“ bezeichnet. Der Rudi fühlte sich mehr und mehr zu seiner neuen Freundin hingezogen. Samsi, wie er sein schickes Smartphone liebevoll nannte, schmeichelte ihm, bot ihm sogar aufregende Datings an. Mit so neumodischem Zeugs konnte der auch schon in die Jahre gekommene Herr Krummbuckl allerdings wenig anfangen.
Bei uns nannte man so was früher ein „Gschpusi“, dachte sich der Rudi. So ein Gschpusi hatte er vor langer Zeit mit der Katheter Kathi. Der Rudi hatte damals öfter ein Auge auf die spitzzüngige Kathi geworfen. Das wieselflinke Dirndl konnte immer rechtzeitig ausweichen. Bis zu jenem weissblauen Frühlingstag, als es die Kathi wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf. Als der Herr Krummbuckl stolz und aufrecht mit einem Strauss roter Rosen vor der Kathi stand und um ihre Hand anhielt. Der Rudi weiß es noch genau,wie er sich in dem Augenblick fühlte, als er seiner Angebetenen die wahre Liebe gestand. In seiner Erinnerung sah er das herrschaftliche Anwesen, in dem die Kathi mit ihrer honorigen Familie residierte.
Die prächtige Villa war umgeben von einem riesigen Vorhof, in dem wertvolle Kunstschätze lagerten. Beim Anblick von so viel Reichtum spürte der Rudi wahrscheinlich zum ersten mal in seiner Brust das berüchtigte Vorhofflimmern.Von so viel Herzschmerz war die Kathi dermaßen beeindruckt, dass sie spontan „Ja“ sagte. Rudi und Kathi gingen tatsächlich das Abenteuer EHE ein. Einen Rasen in Herzform wollte die Kathi als Hochzeitsgeschenk. Tausend rote Rosen sollte der Rudi Krummbuckl für sie pflanzen. Anno dazumal blühten an Pfingsten wunderschöne Pfingstrosen.
Der Rudi fühlte sich aber bald schon wie ein Pfingstochse, der zur Schlachtbank geführt werden sollte. Der Rasen in Herzform bescherte dem Rudi zunehmend Herzrasen. Aus dem einstigen Jüngling wurde ein gebrechlicher Bückling. Herr Krummbuckl spürte schmerzhafte Arthrosen, die sich zu gefährlichen Neurosen auswuchsen. Die Pfingstrosen waren lange schon verwelkt. Auf dem verwilderten Garten sprießte nur noch das Unkraut. Die resolute Kathi rief energisch: „Warum blühen für mich keine Rosen mehr?“ Darauf hatte der Krummbuckl Rudi die passende Antwort: „Weil sie keine Zwiderwurzn vertragen“.
Jetzt ergab ein Wort das andere. Rudi und Kathi hatten ihren heißen und innigsten Rosenkrieg. Der Rudi hatte früher oft einen Frosch im Hals, während seine Kathi ihren Hals nie voll kriegen konnte. Jetzt sprudelte es wie ein Wasserfall aus ihm heraus. Die Wortwahl war so heftig, dass es sogar Samsi zu viel wurde. Die virtuelle Freundin von Rudi versuchte,zu beschwichtigen und mußte sogar ärztliche Hilfe leisten. „Senke den Blutdruck mit Humor, ein Scherzkeks hilft mehr als zwei Tabletten“. Diese gut gemeinte Empfehlung sendete die Samsi per Eilmeldung an die beiden Streithähne. Darüber mußte sogar die Kathi lachen. Doch die Stimmungsschwankungen bekamen ihr gar nicht gut. Nach einem sehr emotionalen Gefühlsausbruch wurde sie zusehends schwächer, die Hitzewallungen in ihrem Gesicht wichen einer nie gekannten Blässe.
Die ungeschminkten Wahrheiten vom Rudi waren wohl zu viel für die Kathi. Um jede weitere Aufregung zu vermeiden, war jetzt Eile geboten. Kathi war in höchster Gefahr. Der Rudi hoffte,dass die Intensivstation nicht die Endstation in Kathis Leben war. Im Himmel wäre bestimmt noch kein Platz frei, für die schrullige Kathi, dachte er. Und tatsächlich sprang seine ehemals allerliebste dem greifbaren Tod in letzter Sekunde von der Schippe. Die geschickten Ausweichmannöver kannte sie noch aus ihrer Jugendzeit. Aber der notwendigen Operation konnte sie nicht entrinnen. Der Doktor setzte bei der Katheter Kathi einen Katheter und wurde so mit ihrem eigenen Namen zum Lebensretter. Rudi und Kathi waren jetzt um eine Weisheit reicher: Mit dem richtigen Schnitt konnte ihr Leben wieder in neue Bahnen gelegt werden.