Die Fünferl Bande
„Kruzifünferl“, schrie der kleine Fritzi lauthals über das Gelände der Rosenheimer Inn Auen. Da wurde sogar der Glockenklang der St. Nikolauskirche übertönt. Es war kein spontaner Wutausbruch von dem 10-jährigen Lausbub, sondern vielmehr der berühmt berüchtigte Erkennungsruf der „Fünferlbande.“ So wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf dem Missisippi wollte die Fünferlbande auf der Mangfall und auf dem Inn zwischen Rosenheim und Wasserburg die Welt erkunden.
Fritzi Findling war ein gebürtiger Mangfall Pirat, manchmal schipperte er mit seinem selbst gebauten Kanu bis zum Innspitz, wo er vor 10 Jahren als neugeborener Erdenbürger in einem weiß-blauen grob geflochtenem Körbchen gefunden wurde. „Bayrisches Findelkind am Innspitz, unweit der Arche Noah, ausgesetzt“. Diese beinahe schon biblische Meldung im Rosenheimer Anzeiger sorgte für mächtiges Aufsehen im gesamten Umland. Niemand wusste, woher der kleine Wonneproppen kam. Es fand sich keine Spur zu seinen leiblichen Eltern. Und so kam es, dass dieses aufgeweckte Kerlchen erst mal im Waisenhaus aufgenommen wurde, bis es eines Tages zur Adoption von Fritzi Findling kam.
Man gab ihm diesen Namen, weil er am Innspitz zwischen zwei großen Steinen, sogenannten Findlingen, abgelegt wurde. In all den Jahren danach wollte der kleine Fritzi unbedingt seine wahre Identität kennenlernen. Die angesehene Professorenwitwe Frau Gscheidmeier dagegen wollte den Findling Fritzi adoptieren, weil sie einen Spielkameraden für ihren Sohn, den vorlauten Gscheidmeier Heini suchte. Fritzi merkte das gleich, und er sagte es seinem ungewollten Spielkameraden direkt: „Du hast schon den richtigen Namen. Als Gscheidmeier Heini weißt du immer alles besser.“ Der Heini grinste über das ganze Gesicht und erwiderte mit stolz geschwellter Brust: „Ich bin der Flusspiratenkapitän. Lass uns die Segel setzen.“
Etwas irritiert blickte der Fritzi den Heini an, doch in seinem Herzen spürte auch er ganz deutlich diesen ungebändigten Drang nach Freiheit und Abenteuer. Bevor sie aber als Fünferlbande die Welt zwischen Rosenheim und Wasserburg erobern konnten, mussten sie noch drei mutige Leichtmatrosen finden, die jederzeit zu allem bereit waren. Und auch für genügend Proviant musste noch gesorgt werden. Da hatte der Gscheidmeier Heini gleich eine genial kulinarische Idee: „Nehmen wir doch den Kasmacher Kare mit. Der steht am Danonekanal. Dort ist die Mitfahrzentrale für künftige Flusspiraten. Der Kare kann uns auf dem Kasradl gewiss eine gute Brotzeit servieren und sich als Butterbreznsalzer betätigen.“ Der Findling Fritzi meinte darauf nur ziemlich lakonisch: „A guade Goschn host du scho imma g`habt, aber denk dran: Unser Floß is ned nur a Brotzeitbrettl.“ Und zum Kare gewandt, meinte er: „Du bist unser dritter Mann.“
Der Kare fühlte sich wie ein Filmheld. Er durfte bei der Fünferlbande den dritten Mann spielen, quasi die Hauptrolle in einem der erfolgreichsten Filme der Nachkriegsgeschichte. „Ihr werdet das nicht bereuen, ich werde mein bestes für euch tun,“ meinte er beinahe ehrfürchtig. Nun waren sie also zu dritt, aber immer noch zu wenig, um dem Namen einer Fünferlbande gerecht zu werden. Am nächsten Morgen ließen sie sich treiben. Es ging abwärts. Inn abwärts. Auf halbem Weg, bei den weiten Feldern der Klosterstiftung Attel sahen sie zwischen Kraut und Rüben einen ziemlich großen Kopf. Es war der Krautkopf vom Krauderer Klausi. „Willst du ewig Krautköpfe ernten?“ riefen ihm der Fritzi und der Heini im Gleichklang zu. Der Krauderer Klausi hielt sein Krautmesser hoch und rief begeistert: „Schiff ahoi!“
Er war sofort bereit, mitzukommen auf eine abenteuerliche Floßfahrt. Bevor es so weit war, musste er noch seinem Vater Bescheid sagen, mit dem kurzen und deutlichem Hape Kerkeling Zitat: „Ich bin dann mal weg!“ Dann blickte er zufällig hinüber in eine abgelegene Waldhütte. Dort bewegte sich irgend etwas ganz langsam. Der Loamsiada Luggi betrieb ein eigentlich längst ausgestorbenes Handwerk. Er rührte in einem großen Kessel mit einem monströsem Kochlöffel. Die heiße und übelriechende Flüssigkeit war keine Brennsuppn. Der Luggi war also keineswegs auf der Brennsuppn dahergschwomma. Der klebrige Inhalt diente vielmehr zum Leimen von seinen ausgelatschten Haferlschuhen. Die Umrührgeschwindigkeit vom Loamsiada Luggi war atemberaubend einschläfernd. „Den könn ma ned braucha, dem könn ma ja unterm gehn die Schuasohln doppln.“ meinte der Gscheidmeier Heini.
Jetzt übernahm Fritzi das Kommando und er sprach ein Machtwort: „Der Luggi ist für uns ein wichtiger Mann, der ist gegen Wind und Wetter gefeit. Der hält unser Piratenboot notfalls mit Pech und Schwefel zusammen. Mit dem Luggi ist unsere Fünferlbande komplett.“ Der Krauderer Klausi machte noch eine bedeutende und zukunftsweisende Bemerkung : „Die Fünferlbande ist eine gelungene Mischung zwischen den drei Musketieren und den glorreichen sieben. Nichts kann uns noch aufhalten.“ Doch es bahnte sich Ungeheuerliches an. Der Gscheidmeier Heini begehrte gegen den Namen der Fünferlbande auf. „Für ein Fünferl lohnt es sich doch gar nicht, ein modernes Kidnapping überhaupt erst vorzubereiten. Der Name ist nicht mehr zeitgemäß.“
Sogar der Krauderer Klausi pflichtete ihm bei. Er wollte wohl nicht nur wegen seines Krautkopfs zu den Großkopferten zählen. Genüsslich biss er in einen Bounty Schokoriegel. Ob er damit auf die berüchtigte Meuterei auf der Bounty anspielen wollte? Lediglich der Kasmacher Kare ließ sich bei seiner Brotzeit nicht aus der Ruhe bringen und der Loamsiada Luggi begriff erst ganz langsam, dass sich nicht nur der sonst so weiß blaue Himmel plötzlich dunkelrot färbte. Ein Gewitter mit grellen Blitzen und heftigem Donnergrollen war im Anmarsch. Die Fünferlbande musste sich nun so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Fritzi Findling brauchte all seine Kraft und auch viel Vernunft, um wieder etwas Ruhe und Leistungsbereitschaft in seine aufmüpfige Mannschaft zu bringen.
An einen Beutezug war in dieser aufgeheizten Situation nicht zu denken. Spontan sagte er: „Lass uns doch ins Kloster gehen, die Benediktinerabtei von Attel wird in Gottes Namen vielleicht sogar eine schutzwürdige Piratenbande bei sich aufnehmen.“ Dieser Sinneswandel kam dem Gscheidmeier Heini mehr als suspekt vor. Aber was blieb ihm anderes übrig? Auch er war mit seinem Latein am Ende. Und so machten sich die Möchtegern Piraten auf den Weg hin zum Benediktinerkloster Attel. Die Herzlichkeit und die Fürsorge der Atteler Klosterbrüder überraschte die Schiffbrüchigen dermaßen, dass sie sogar so etwas wie Dankbarkeit empfanden. In der Klosterkirche zu Attel schickte die Fünferlbande ein Stoßgebet zum Himmel, das von Petrus sogleich erhört wurde.
Das Gewitter verzog sich, und erste Sonnenstrahlen leuchteten nun auch über dem Fischerstüberl zu Attel. Dort hatten die Klosterbrüder nun zur weltlichen Zeremonie geladen. Die Piratenbande durfte sich köstliche Fischspezialitäten bestellen, unter der Voraussetzung, dass sie künftig jeglicher Piraterei und Meuterei abschwörten. Fritzi und seine Kumpane gingen mit einem echten Piratenhandschlag auf diesen Deal ein. An Wunder glaubten sie allerdings nicht. Doch als die fesche Kellnerin, die Fischer Vroni, dem Fritzi sein leckeres Zanderfilet servierte, lief dem sonst so starken Piraten ein Schauer über den Rücken und es fröstelte ihn. „Was ist denn in dich gefahren?“ fragte ihn der Gscheidmeier Heini. Und auch die Fischer Vroni wunderte sich. „Schmeckt`s dir etwa nicht?“ Der sonst so wortgewandte Fritzi brauchte einige Zeit, bis er antworten konnte. „Doch doch, aber schau doch mal, was du da am Hals hast.“ Die Vroni fragte entgeistert: Meinst du dieses Muttermal? das hab ich seit meiner Geburt.“
Fritzi war jetzt wieder hellwach und erwiderte: „Und jetzt schau mal an die selbe Stelle an meinem Hals. Ich hab seit meiner Geburt genau an der gleichen Stelle dieses Muttermal.“ Jetzt wurde auch die Vroni ganz bleich im Gesicht. „Das gibts doch nicht, das kann doch nicht war sein. „I glaub, i spinn.“ Der Fritzi meinte darauf: „Mich gibt's sehr wohl, es ist wahr, uns spinnen tust schon gleich gar nicht. Ich bin dein verlorener Sohn.“ Die Vroni war jetzt echt zerknirscht. „Wennst mich jetzt fragst, wo dein Vater geblieben ist, kann ich dir nur sagen, dass er damals einfach abgehauen ist. Wahrscheinlich ist er irgendwo in den Inn Auen versumpft.“ Der Gscheidmeier Heini meinte resignierend: „Den werden wir aber jetzt nicht suchen. Für den kriegen wir bestimmt nicht mal ein Lösegeld.“ Das konnte die Vroni nur bestätigen: „Der ist keinen Taler wert, und er ist ja noch nicht mal ein echter Inntaler.“
Das machte dem Fritzi aber gar nichts aus. „Jetzt hab ich auf unserer Piratenfahrt doch noch meinen größten Schatz gefunden, meine echte Mutter.“ Vroni und Fritzi fielen sich um die Arme, verfingen sich wie ein buntes Wollknäuel, waren nur noch glücklich. Da konnte der Gscheidmeier Heini nur noch resignierend feststellen: „Jetzt gibt es wohl die Fünferlbande nicht mehr.“ Fritzi sagte es ihm klar und deutlich: „Ich übergebe das Kommando an Heini Gscheidmeier. Ihr müsst jetzt ohne mich zurecht kommen.“ Der fragte gleich zurück: „Und was willst du jetzt machen?“ Fritzi zwinkerte seiner Mutter zu, und meinte: „In Attel hab ich endlich meine Heimat gefunden.“