Handtuchraub in Wasserburg
Wieder so eine banale Meldung in der regionalen Zeitung, denkt sich Melanie und rührt lustlos im frisch aufgebrühten Kaffee. Eigentlich hätte sie wichtigeres zu tun, als belanglose Klatschnachrichten zu lesen. Interessanter fände sie die Schlagzeile: „Amerikanischer Präsident mit steuerfinanziertem Seidenschal erdrosselt“.
Allein schon dieser abstruse Gedanke löst eine gewisse Faszination bei Melanie aus. Aber wen um alles in der Welt interessiert schon so ein Handtuchraub in Wasserburg? Die Antwort auf diese Frage macht sich urplötzlich durch heftige Klopfgeräusche an der Wohnungstür bemerkbar. Zwei Beamte der Wasserburger Kripo zeigen der völlig verdutzten Melanie ein blutverschmiertes Handtuch. “Kommt Ihnen dieses Requisit bekannt vor? Wir haben es so eben am Innufer gefunden. Und darauf sind eindeutig die Fingerabdrücke Ihres Mannes. Die Spurensicherung hat das am Fundort festgestellt. „Das ist ja schon ein außergewöhnliches Handtuch“, erwiderte die ziemlich genervte Frau, deren Mann verdächtigt wird, vielleicht einen Mord begangen zu haben. Bei näherer Betrachtung muss sie gestehen, dass ihr die abstrakte Figur auf dem Handtuch natürlich bekannt vorkommt. Die Initialen D.T. sind umhüllt von einer strohblonden Dauerwelle, die das gesamte Hirnareal des wohl mächtigsten Mannes der Welt bedeckt. Zumindest twittert selbiger das täglich mehrmals im gesamten Universum. Es bedarf hier keiner Tarnkappe, um zu wissen, wer das wohl sein mag. „Natürlich kenne ich diesen Mann. Der ist ja ständig anwesend. Von seinem Twitterstüberl im Internet grinst er in jeden Winkel der Erde, bis nach Wasserburg.“
Der Kriminaler fragt weiter: „Wie erklären Sie sich, dass dieses blutverschmierte Handtuch mit den Fingerabdrücken Ihres Mannes an das Innufer bei Wasserburg gelangen konnte?“ Um eine ironische Aussage ist Melanie nicht verlegen. „Die Air Force One hat wohl auf dem Weg vom Weißen Haus zum Kreml unnötigen Ballast abgeworfen. Ein derart verschmutztes Handtuch passt nicht zum Image vom Weißen Haus. Oder aber der Hurrikan Androw fegte in seinem Wutrausch dieses lästige Attribut über den Atlantik. Vom Missisippi bis zum Inn.“ Diese beinahe schon unverschämten Bemerkungen veranlassen die Beamten zu der deutlichen Aufforderung: „Nun werden Sie mal nicht frech,Sie können uns gleich auf`s Revier begleiten und Ihren Mann besuchen. Wir ermitteln hier schließlich in einer ernstzunehmenden Bluttat.“
Das zuständige Revier für diesen brisanten Fall liegt in der Nähe vom bayrischen Meer. Die JVA Bernau hat mit dem Charme eines Hotels mit Chiemseeblick aber gar nichts zu tun. Im Vernehmungszimmer herrscht keine bayrische Gemütlichkeit. Der Verhörraum strahlt durch seine nackten Betonwände eine kühle, karge und düstere Atmosphäre aus. Auf dem einfachen, ungepolsterten Holzstuhl sitzt Ben, der Mann von Melanie. Seit Stunden schon wird er malträtiert, mit den ewig gleichen Anschuldigungen. An der Wand über ihm verbreitet der Fernsehsender CNN die explosiven Nachrichten. Bekannte Persönlichkeiten in den USA haben Briefbomben zugeschickt bekommen. Der Präsident bezeichnet dies alles als FAKE NEWS.
Ziemlich zerknirscht und verbittert ringt Ben um Worte, die seine Unschuld beweisen sollen. „Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass ich der Absender dieser ominösen Briefbomben gewesen sein könnte? Ja, ich gebe zu, ich war zu dieser Zeit in New York, auf Geschäftsreise. Dieses verdammte blutverschmierte Handtuch ist mir aber beim fischen am Innufer bei Wasserburg an den Angelhaken geraten. Ich dachte mir noch, was für einen tollen Hecht ich erwischt hätte. Dann habe ich diesen Fetzen vom Hacken genommen und ihn fein säuberlich in den Abfallkorb gelegt. Das hab ich Ihnen aber geschätzt bestimmt schon zwanzigmal gesagt.“ „Hab mich bei dieser Aktion dummerweise auch noch verletzt, mir den kleinen Finger aufgerissen, daher stammt das Blut auf dem präsidialen Handtuch, das ich vorher nie gesehen habe.“ „Die Leute vom FBI haben festgestellt, dass Sie die gleiche Blutgruppe wie DT haben klärte ihn der Justizbeamte auf. Jetzt musste sogar Melanie höhnisch lachen.
„Und jetzt glauben Sie wohl, mein Mann wäre zur Stammzellentherapie geeignet? Das würde bei DT bestimmt auch nicht mehr helfen. Hier wird wohl jede noch so abwegige These zum Politikum hoch gepusht,“ zürnt sie. Ben ist stark beeindruckt von der leidenschaftlichen Hilfe seiner Frau. „Wir stehen das zusammen durch, wir geben nicht auf, wir sind unschuldig!“, ruft er den sogenannten Wasserburg Cops zu.
Mitten im zermürbenden Vernehmungsmarathon, der bereits zwei Stunden andauert, schrillt unüberhörbar das alte Gefängnistelefon. Der Anruf kommt vom Schleusenwärter am unteren Innufer. Aufgeregt überbringt er dem Kriminalhauptkommissar Bender eine Mitteilung, die den Handtuchkrimi vielleicht schon bald auf die richtige Spur bringen kann. „Auf dem Inn schwimmen hunderte Handtücher mit dem Konterfei von original DT. Solche Handtücher gibt es bei uns nirgends zu kaufen.“
Melanie und Ben fordern übereinstimmend: „Jetzt könnt Ihr doch endlich die Fährte zurückverfolgen und dann herausfinden, wo die schwimmenden Handtücher herkommen“. Die Wasserburg Cops versichern glaubhaft: „Das werden wir auch tun. Mit der Innfähre flussaufwärts werden wir das ganze Gelände millimetergenau absuchen. Die Kollegen aus Rosenheim werden uns behilflich sein.“ Bei dem Versprechen kommen erste berechtigte Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Worte auf. Zumal die allseits bekannte Frau Stockl nicht sagen kann: „Es gabat a Leich.“ Trotz intensiver Suche konnten die Kriminaler bisher keine getötete Person entdecken. Weder zu Land, noch zu Wasser. Und der Präse twittert ja immer noch munter weiter. Am nächsten Morgen macht sich das zusammengefügte Gespann Rosenheim/Wasserburg Cops auf die Suche nach den DT Handtüchern. Inmitten eines Moorgebiets macht das Team eine erstaunliche Entdeckung. Mehrere vermummte Gestalten bewegen sich hin zu einem versteckten Bunker. Ein Überbleibsel aus dem zweiten Weltkrieg, das scheinbar immer noch bewohnt ist.
Beim Betreten der ehemals militärisch genutzten Räume trauen die Regionalkriminaler ihren Augen nicht. Was sie da zu sehen bekommen, hätten sie in ihren kühnsten Vorstellungen nicht erwartet. Sämtliche Zimmer sind mit Utensilien von DT ausgestattet. Bettwäsche,Tassen,Teller, ja sogar Toilettenpapier sind verziert mit dem DT Emblem. Natürlich auch die zu Hauf vorhandenen Handtücher, die wahrscheinlich zur Verteilung im gesamten Bundesgebiet gedacht waren.Nicht in den Sümpfen von Louisiana, sondern in einem versumpften bayrischen Kuckucksclandorf haben die fanatischen DT Freunde ihr Quartier aufgeschlagen. Sie rauben Gegenstände aller Art, und wandeln diese in ihren modernst eingerichteten Werkstätten zu DT Fan Artikeln um. Jetzt ergibt sich ein realistisches Bild vom Handtuchraub in Wasserburg. Die provinzielle Nachricht hat plötzlich Weltstatus. Überwältigt von der internationalen Bedeutung dieser Entdeckung wachsen die Männer der Rosenheim/Wasserburg Cops über sich hinaus. Im Stile der Antiterroreinheit GSG 9 überrumpeln sie die selbsternannten Reichsbürger im bayrischen Kuckucksdorf. Die Nationalisten lassen sich widerstandslos festnehmen. Danach kommt es in der JVA Bernau zu einem Gefangenenaustausch. Die national gesinnten Radikalisten müssen sich jetzt dem Verhörmarathon stellen und danach wohl eine lang andauernde Strafe absitzen. Ben und Melanie hingegen dürfen sich auf ihre Freilassung freuen. Zu ihrer Entschädigung wegen falscher Verdächtigung gießt ihnen Frau Stockl frisch aufgebrühten Kaffee ein. Sie fühlen sich fast schon wie zu Hause, bis die Botschaft von DT in ihr Wohnzimmer übertragen wird. „BAVARIA FIRST I LOVE BAVARIA“.