Zuckerwattenrendezvous
Der Möchtegern Moritz und die Willnet Walli… Gegensätzlicher können Eheleute eigentlich gar nicht sein, und doch fanden sie zueinander, beim ersten Zuckerwattenrendezvous vor nunmehr bald schon 10 Jahren auf dem Aschauer Markt. Damals gab es noch keinen Bankerlweg, keine Himmelsliege und auch keine Schoaßtrommel. Die hätte der Moritz dringend gebraucht, als er nach seinem unfreiwilligen Autostopp im Priental direkt auf die Aschauer Schmankerlstraße gelangte. Ausgehungert und halb verdurstet von seinem Trip durch den Amazondschungel hat er sich gefragt, ob er denn noch alle fünf Sinne beieinander hätte. Auf die richtige Antwort brauchte er nicht lange warten.
Als erstes meldete sich sein Geruchssinn. Der vernahm durch seine Schnuppernase würzig gegrillte Hähnchen. Sie drehten sich schön gleichmäßig am Spiess, und warteten nur darauf, aufgebrezelt und eingebettet in goldgelben Kartoffelsalat noch einmal über den Tellerrand hinauszusehen. Wogende Chiemseewellen mit einer imposanten Schaumkrone schwappten über den steinernen Masskrug. Das süffige Märzenbier von Cramer-Klett weckte im Eiltempo sämntliche Geschmacksnerven von Moritz. Er bekam Appetit auf immer mehr Köstlichkeiten. Gestärkt und ermutigt meldete sich Moritz zur Genussrally an, die alljährlich auf dem Aschauer Markt stattfindet. Mit Pauken und Trompeten, die heller und lauter erklangen als die Aschauer Kirchturmglocken, wurde das Spektakel eingeläutet.
Eine Schnitzeljagd der besonderen Art stand als erstes auf dem Programm. Den Startschuss feuerte der Wilderergustl ab. Auf sein Kommando brachte die fesche Serviererin, die Rehleinliesl, ein deftiges Jägerschnitzel, garniert mit original Aschauer Spätzle an den festlich geschmückten Tisch. Ihm gegenüber saß ein Edelmann mit funkelnden Augen. Der machte sich ungestüm über ein scharfes, mit Paprikaschoten überzogenes Stück Fleisch her. War es ein abgesandter von König Attila, der sich in ritterlicher Manier sein Zigeunerschnitzel schmecken ließ? Das wusste auch sein Nachbar daneben nicht. Dieser hochgewachsene, breitschultrige Kerl, ausgestattet mit einer auffälligen Knollennase, stocherte mit seiner Kartoffelgabel wie eine Wühlmaus im Pommesfeld herum. Seine Kumpels riefen ihm belustigt zu: „Fritz, magst noch mehr Pommes?“ Sein Freund, der Heinz meinte: „Mit Ketchup schmeckt des Schnitzel besser“.
Der Moritz musste schon genau hinhören, damit er im Aschauer Festzelt diesen etwas andersartigen Dialekt verstand. Aber schnell wurde ihm klar: Der Herr, das muss ein Wiener sein. Kein Wiener Würstl. Dieses gestandene Mannsbild verschlingt gerade ein Riesen Wiener Schnitzel. Der Aschauer Markt hat schon internationales Flair, dachte sich der Moritz. Und er fragte sich,ob der schwergewichtige Kerl wohl die Stufen zum Siegertreppchen hinauf schaffen würde. Er selbst war noch vom Giggerlessen ziemlich satt.Ihn gelüstete nach süssem. Weil er schon immer gern Komplimente machte, wurde er seit seiner Schulzeit oft als Süssholzraspler bezeichnet. Und genau diese Worte waren es, die von der Zuckerwatteverkäuferin, von der Willnet Walli aus ihrem Schmollmund heraussprudelten, geradezu so, als wäre jedes einzelne Wort ein Giftpfeil. „Du bist doch der selbstgesprächige Junge mit der inneren Stimme, willst Du von mir etwa in Watte gewickelt werden?“ schleuderte sie ihm entgegen.
Der Moritz, auch nicht gerade auf den Mund gefallen, konterte geschickt ohne vorherige Absprache mit seinem inneren Ich: „Heute würde ich Dich gerne einladen, zu einem Bummel über den Aschauer Markt. Aber auf Deinem Namensschild steht ja: „Walli Willnet“. Überrascht von so viel Schlagfertigkeit,die sie dem Moritz gar nicht zugetraut hat, war die Willnet Walli, die man wegen ihrer Kratzbürstigkeit auch die Geierwalli nannte, erstmal baff. Der Moritz lächelte spitzbübisch. Er fühlte sich in diesem Augenblick als moralischer Sieger. Oder war er gar ein zärtlicher Tyrann? Ihm machte es zusehends mehr Spass, die Walli zu umgarnen, wie bunte Wollknäuel, die am Verkaufsstand gegenüber als Sonderangebot gepriesen wurden. Der Walli wurde es allerdings auch bald zu bunt. Sie versuchte wortgewaltig, dem drängen von Moritz Möchtegern zu widerstehn. „Ja, was glaubst denn du, wer du bist, geh gefälligst da wieder hin, wo du hergekommen bist“. raunzte sie.
Doch ihre giftgeschwängerten Worthülsen verloren mehr und mehr an Wirksamkeit. Sie erkannte, dass sie einem Charmeur wie dem Moritz auf Dauer nicht gewachsen war. Der hatte sich jetzt eine Unnachgiebigkeit zugelegt, die seinesgleichen sucht. „Ich komm gerade aus der Pralinengasse, wo feinste Spezialitäten auf uns warten.“ antwortete er selbstbewusst. Bei dem Wörtchen „uns“ war er beinahe erschrocken. Zum erstenmal hatte er „uns“ gesagt, und die Walli fragte neugierig: „Meinst Du mit „uns“ wirklich uns?“ „Ja freilich, wen denn sonst?“ lachte der Moritz, redete aufgemuntert und erheitert weiter. „Die Kräuterliesl ist mir zu alt, und die Kupfernanni zu eisern, bei der könnt ich nie meinen Willen durchsetzen“ „Und du glaubst, bei mir könnst des?“ lachte sie höhnisch. „Ja, des glaub ich, weil du ein blitzsauberes Madl bist. Zeig mir doch bitte mal dein herzerfrischendes Lächeln, das passt viel besser zu dir“ Jetzt war der Bann gebrochen, die Zufahrtswege in Wallis Herz hatte der Moritz mit all seiner Raffinesse freigeräumt. Letzte Zweifel keimten bei der Willnet Walli auf, wenn sie manchmal nachdenklich zu ihm sagte: „Meinst schon, dass des mit uns bis in alle Ewigkeit gut geht?“ „Da geb ich dir mein Ehrenwort drauf“ antwortete der Moritz.
Er wusste mittlerweile genau, wie er die Walli bezirzen konnte. Zarter Schmelz mit Mandellikör fließt auf der Zunge in einen Strom der Glückseligkeit, verwandelt eine harte Nuss wie die Walli in eine zuckersüsse Schokoladenprinzessin. Moritz fühlte sich wie ein Nussknacker, wohl der einzige auf dem Aschauer Markt. Diese Zauberkunst der Verführung war schon etwas besonderes, und Walli liebte das aussergewöhnliche. Damit das zarte Band der Liebe nicht bald schon wieder zerreisst, setzte sie dem Moritz an jeder Station der Aschauer Genussrally eine extra für ihn angefertigte Rosa Brille auf. Der Moritz kann so bis zum heutigen Tag jeden Wunsch von ihren Augen ablesen. Beim Aschauer Zuckerwattenrendezvous werden nun all ihre Wunschträume immer wieder aufs neue erfüllt.